An der Pride Zentralschweiz demonstrierten am vergangenen Samstag Personen unter dem Motto «Love In, Hate Out». Im Nachgang ernten die Organisatoren nun alles andere als Liebe. Und das ausgerechnet von links.Liebe statt Hass: Unter diesem Motto fand Ende August die diesjährige Pride Zentralschweiz statt. Damit traten die Veranstalter dafür ein, dass sich eine Gesellschaft nicht durch Hass, Gewalt und Angst definieren solle, sondern durch Liebe, gegenseitigen Respekt und Unterstützung. Alles andere als Liebe erhält der Verein dahinter nun aber ausgerechnet von linker Seite. In einer gemeinsamen Medienmitteilung via Instagram kritisieren die Zentralschweizer Juso-Sektionen die Veranstalter aufs Schärfste. Die Jungparteien sprechen darin von einer «Reihe von Vorfällen und Missständen». Ihre Hauptkritik: die «sehr starke Präsenz» während der Veranstaltung von Polizei und Militär. «Aus historischer Perspektive sind sowohl das Militär als auch die Polizei Institutionen, die marginalisierte Gruppen systemisch diskriminiert haben und dies auch weiterhin tun.» Seien diese an der Pride präsent, würden diese die Veranstaltung zu einem «unsicheren Ort» für queere Personen machen, kritisieren die Jungsozialisten.
Gleiches kritisierte die Aktivistin und Musikerin Angie Addo, die ihre Rede an der Pride selbst spontan noch um einen Schlenker zur Polizeigewalt ergänzte. «Uniformierte haben an der Pride nichts zu suchen», hielt sie dabei fest. Pride-Präsidentin Vanessa Kiener distanzierte sich kurz darauf von den Aussagen. Doch zurück zu den Jungparteien: Diese stören sich auch an der katholischen Kirche, die dieses Jahr an vorderster Front mitlief. Queere Menschen seien in der Kirche weder rechtlich noch ideologisch gleichgestellt. Deshalb sei «vollkommen unverständlich», warum die Organisatoren der Pride Zentralschweiz solchen «queerfeindlichen Organisationen» so viel Raum biete, enervieren sie sich. Nebst dem Zusammenspannen mit Kirche und Polizei kreidet die Juso auch die «fehlende politische Ausrichtung» der Pride Zentralschweiz an. Der «Luzerner Zeitung» zufolge sei die Juso-Fraktion etwa angehalten worden, an der Demonstration keine antifaschistischen Parolen zu rufen. Das bestätigt auch der Luzerner Juso-Vizepräsident Benjamin Ferizaj auf Anfrage. Gemäss den Jungparteien ist die Pride jedoch inhärent und historisch gesehen politisch. «Die Pride ist keine Feier, sondern ein Aufstand – ‹Pride is a riot› –, und muss zwangsläufig politisch sein», halten die Jungparteien in ihrer Medienmitteilung fest.
An der diesjährigen Pride führte die rechtsextreme «Junge Tat» während der Veranstaltung mit einem Plakat und Pyros eine Gegenaktion durch (zentralplus berichtete). Angesichts solcher Ereignisse sei es «unerlässlich», dass sich die Organisatoren klar gegen faschistisches Gedankengut positionierten, fordert die Juso. Insbesondere verlangt sie auch, dass sich der Verein zu den vorgebrachten Kritikpunkten äussert. Jedoch äussert sich Pride Zentralschweiz auch auf Anfrage von zentralplus nicht dazu. Jedenfalls noch nicht. Ein Sprecher des Vereins schreibt, die Pride Zentralschweiz sei derzeit dabei, das Thema intern zu besprechen. Sobald sie genügend Zeit hätten, sich mit dem Anliegen auseinanderzusetzen, würden sie den direkten Dialog mit der Juso suchen. Ganz still war der Verein indes nicht. Nach der Rede von Angie Addo hielt Vereinspräsidentin Vanessa Kiener fest: «Die Pride Zentralschweiz arbeitet eng mit der Polizei zusammen. Ohne Polizei gäbe es keine Demo. Wir fordern Safe Spaces? Diese wurden heute durch die Polizei gewährleistet. Daher unterstützten wir solche Aussagen nicht», wie die «Luzerner Zeitung» schreibt. An der Pride seien alle willkommen. Zudem solle der Verein auf Anfrage betont haben, dass die Veranstaltung politisch neutral sei, wie die Zeitung schreibt.
Die Luzerner Polizei schreibt auf Anfrage, dass die Polizei an der Pride präsent gewesen sei, «wie dies bei sämtlichen Veranstaltungen dieser Grösse der Fall ist, um die Sicherheit der Teilnehmenden zu gewährleisten». Bei Demonstrationen sicherten und sperrten Polizisten zudem die Strecke. Zu den Vorwürfen, wonach die Polizei «queerfeindlich» sei und die Pride unsicher mache, äussert sich die Polizei nicht. Dies, da der Beitrag der Juso an das OK der Pride gerichtet sei. In Zürich verhinderte Polizei einen Anschlag. Die Zentralschweizer Pride ist dabei nicht die einzige Veranstaltung, die sich mit dieser Kritik konfrontiert sieht. Die «Milchjugend», eine der grössten queeren Organisationen der Schweiz, kritisierte vor einigen Wochen via Instagram auch die Polizeipräsenz und die politische neutrale Haltung der Pride Zürich. Dabei hat gerade die Veranstaltung in Zürich der Polizei dieses Jahr viel zu verdanken. Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, nahm die Zürcher Polizei im Vorfeld zwei Jugendliche fest, die einen Anschlag mit einem Lastwagen geplant haben sollen.
Darauf angesprochen, schreibt der Luzerner Juso Vizepräsident Benjamin Ferizaj, dass er die Arbeit der Polizei begrüsse, wenn es darum gehe, rechtsextremistische Angriffe zu verhindern. Trotzdem teile er die Meinung Kieners nicht, dass die Polizei die Pride zu einer sicheren Veranstaltung mache. Zwar garantiere sie «bis zu einem gewissen Grad» Schutz. «Doch was ist mit traumatisierten Menschen, die schon schlechte Erfahrungen gemacht haben, wie viele POC?» Mit POC sind «People of Color», also beispielsweise schwarze Personen gemeint. Für sie sorge die Präsenz der Polizei für Retraumatisierungen, so Ferizaj. Dass Polizei, Militär und Kirche mit ihrer Teilnahme an der Pride auch einen Schritt auf queere Personen zumachen würden, findet der Jungpolitiker nicht. Mit schierer Präsenz hätten die Organisationen noch keinen Schritt auf die Community zugemacht. «Wir wollen nicht an der Pride mit ihnen kuscheln und am nächsten Tag von ihnen diskriminiert werden.»
Auch die Diskussion um politische Parolen wird nicht nur an der Pride geführt. Im Sommer 2023 distanzierten sich bürgerliche Politikerinnen in verschiedenen Medienberichten vom Frauenstreik, da die dort proklamierten Forderungen inzwischen «zu extrem» oder «zu links» seien. Mit klarem politischen Anstrich könnte dasselbe der Pride Zentralschweiz blühen. Für Benjamin Ferizaj jedoch kein Problem: «Es kann nicht das Ziel sein, die Stiefeln der Bürgerlichen zu lecken, nur damit sie an die Pride oder an den feministischen Streik kommen.» Und fügt an: «Die Pride ist eine Demonstration, ein Aufstand, nicht nur ein Regenbogen-Karneval.» Mit der Pride strebe man einen Systemwechsel an – was zwangsläufig nicht bei allen gut ankomme. Feier für alle oder politischer Kampf – eine Frage, mit der sich die Pride Zentralschweiz nun zwangsläufig auseinandersetzen muss.